„Eine Formalie in Kiew"

Dmitrij Kapitelman kann besser sächseln als die Beamtin, bei der er den deutschen Pass beantragt. Nach 25 Jahren als Landsmann, dem Großteil seines Lebens. Aber der Bürokratie ist keine Formalie zu klein, wenn es um Einwanderer geht. Frau Kunze verlangt eine Apostille aus Kiew. Also reist er in seine Geburtsstadt, mit der ihn nichts außer Kindheitserinnerungen verbindet. Schön sind diese Erinnerungen, warten doch darin liebende, unfehlbare Eltern. Und schwer, denn gegenwärtig ist die Familie zerstritten.

„Eine Formalie in Kiew“ ist die Geschichte einer Familie, die einst voller Hoffnung in die Fremde zog und am Ende ohne jede Heimat dasteht. Erzählt mit dem bittersüßen Humor eines Sohnes, der stoisch versucht, Deutscher zu werden.

Dmitrij Kapitelman (* 1986 als Dmitrij Romashkan in Kiew) ist ein deutschsprachiger Schriftsteller, Journalist und Musiker. Mit acht Jahren kam er mit seiner Familie als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland. Er studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Leipzig und absolvierte die Deutsche  Journalistenschule in München. Er lebt als freier Journalist in Berlin und macht unter dem  Künstlernamen Dheema Musik.

Israelbezogener Judenhass - das Echo der Vergangenheit

Israelbezogener Antisemitismus ist im 21. Jahrhundert die bei weitem häufigstse  und bereits breit akzeptierte Form des Judenhasses. Wir hören ihn als Hasssprache auf den Straßen, sehen ihn multipe im Internet, lesen ihn in den Medien und registrieren ihn in der Alltagskommunikation. Dabei ist Israelhass kein neues Phänomen, sondern untrennbar gekoppelt an die uralte Judenfeindschaft, deren Tradition auf dies Weise modern fortgeführt wird.
Der Vortrag erörtert anhand zahlreicher Beispiele, dass israelbezogener Antisemitismus alle Merkmale des klassischen Anti-Judaismus aufweist und daher als Echo der Vergangenheit zu bewerten ist. Judenfeindschaft ist eine kulturelle Kategorie, tief eingegraben in die abendländischen DNA.
Dass Israel, als das wichtigste Symbol für jüdisches Leben in der Welt, im Fokus aller Antisemiten steht, folgt der chamäleon-artigen Wandlungsdynamik von Judenhass, sich der jeweiligen Epoche oder Situation anzupassen. Der jüdische Staat steht als Hassobjekt im Fokus aller Antisemiten, gleich welcher ideologischen oder politischen Richtung.
Nach 2000 Jahren Ausgrenzung, Benachteiligung und Verfolgung erlaubt Israel genuin jüdische Lebensweise: Daher ist Israel der Stachel im modernen antisemitischen Geist.

Prof. Monika Schwarz-Friesel ist Antisemitismusforscherin an der TU Berlin und Autorin mehrerer Standardwerke zum aktuellen Judenhass (u. a. "Die Sprache der Judenfeindlichkeit im 21. Jahrhundert, gebildeter Antisemistismus, Judenhass im Internet"). Zuletzt erschien 2022 "Toxische Sprache und geistige Gewalt. Wie judenfeindliche Denk- und Gefühlsmuster seit Jahrhunderten unsere Kommunikation prägen."

„Das Regierungsprogramm des Himmelreichs"

Norbert Schwarz und Astrid Lange mit Prof. Wengst

Jesu Lehre auf dem Berg - traditionell als Bergpredigt bezeichnet - ist ein zentraler Teil des Matthäusevangeliums. In dessen Gesamtkontext ist Jesus Lehrer, aber auch endzeitlicher Richter und König. So lässt sich die Bergpredigt als Regierungsprogramm des. Messias Jesus verstehen. Sie soll umgesetzt werden von Jesu Schülerschaft, von der Gemeinde, geht aber intentional darüber hinaus. Am Ende des Evangeliums kommen "alle Völker" in den Blick: Nicht nur an Israel richtet sich Jesu Lehre, auch die Völker sollen mit Israel mitlernen. Dementsprechend erweist sich Jesus in seiner Lehre nicht als jemand, der "das Gesetz" überbietet oder abschafft, sondern er redet als Ausleger der Tora. Seine Aussagen stehen ganz und gar innerhalb des Judentums. Diese Auslegung der Bergpredigt richtet sich nicht nur an Theologinnen, sondern will dazu beitragen, Jesu Lehre auf dem Berg auch einem breiteren interessierten Publikum neu zugänglich zu machen.
Prof. Dr. Klaus Wengst, Evangelischer Theologe,1981 bis 2007 Professor an der Universität Bochum, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag.

Walter Schiffer

„Du bist der Erde geschenkt!“
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass unser Planet geplündert wird und wir an die Grenzen des Wachstums stoßen. Ökologische Fragestellungen und unser Verhältnis zur Natur stehen deshalb zurzeit auf den vorderen Plätzen der Tagesordnung. Gangbare Wege werden gesucht und diskutiert.
In dieser Situation ist es interessant zu fragen, welches Verhältnis zur Natur sich im jüdischen Schrifttum zeigt. Welche Wege hat die Tradition zwischen den Polen „Macht euch die Erde untertan“ und „Dienet der Erde“ gefunden?
Ausgehend von den biblischen Quellen hat Walter Schiffer exemplarisch gezeigt, wie sich über Jahrhunderte Vorstellungen über den Umgang mit der Natur in den rabbinischen Schriften entwickelt haben, die auch auf die heute drängenden Aufgaben Antworten geben können.

Referent: Walter Schiffer M.A., M.Th., Universität Münster, Institut für Jüdische Studien

Jüdisch jetzt!
Junge Juden und Jüdinnen über ihr Leben in Deutschland.

Andrea von Treuenfeld

Die meisten Nichtjuden in Deutschland sind noch nie — oder zumindest nicht bewusst—einem jüdischen Menschen begegnet sind. Dementsprechend halten sich in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft oftmals uralte Klischees oder bestimmen undifferenzierte Neuzuschreibungen das Bild.
Wie aber sieht das jüdische Leben im heutigen Deutschland wirklich aus? Wie fühlen sich Jüdinnen und Juden in diesem Land? Und was bedeutet eigentlich jüdisch, wenn man sie selbst danach fragt?

Die meisten Nichtjuden in Deutschland sind noch nie — oder zumindest nicht bewusst—einem jüdischen Menschen begegnet sind. Dementsprechend halten sich in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft oftmals uralte Klischees oder bestimmen undifferenzierte Neuzuschreibungen das Bild.
Wie aber sieht das jüdische Leben im heutigen Deutschland wirklich aus? Wie fühlen sich Jüdinnen und Juden in diesem Land? Und was bedeutet eigentlich jüdisch, wenn man sie selbst danach fragt?

Andrea von Treuenfeld, hat in Münster Publizistik und Germanistik studiert und nach einem Volontariat bei einer überregionalen Tageszeitung lange als Kolumnistin, Korrespondentin und Leitende Redakteurin für namhafte Printmedien, darunter Welt am Sonntag und Wirtschaftswoche, gearbeitet. Heute lebt sie in Berlin und schreibt als freie Journalistin Porträts und Biografien.

No fear

Am 3. März 2024 wurde dem Pianisten und Aktivisten Igor  Levit im Kurfürstlichen Schloss in Mainz im Rahmen der Eröffnung der „Woche der Brüderlichkeit“ die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen. Die Laudatio hält Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission. Aus Anlass dieser Ehrung zeigen wir den Film „No fear“.
„Citizen. European. Pianist.“ – mit diesen Stichworten beschreibt Igor Levit sich selbst auf seiner Website. Die Reihenfolge ist Programm. Zuallererst begreift sich der als einer der besten Pianisten der Welt geltende Künstler als „Citizen“ – als Bürger. Dabei ist er nicht nur ein Bürger Deutschlands, sondern als „European“ einer, der sich als Teil dieses Kontinents mit seiner historischen Verantwortung versteht. Levit möchte vor allem als ein Mensch wahrgenommen werden, der politisch mitgestalten will. Entsprechend gehören für Igor Levit seine Musik und politisches Engagement zusammen. Er ist Pianist und Aktivist. Dafür hat er bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten.
Mit der Buber-Rosenzweig-Medaille hat der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) seinen Einsatz gegen jede Form der Menschenfeindlichkeit, seien es Antisemitismus, Rassismus oder andere Formen der Diskriminierung, und für eine freie, demokratische und vielfältige Gesellschaft gewürdigt.

Die Halacha: Recht als Wegbereiter religiöser Praxis im Judentum

Gut besucht war die Veranstaltung mit Alisa Bach, MA Jüdische Theologie, Mitglied der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover K.d.ö.R. und Leiterin der öffnentlichen Jüdischen Bibliothek Hannover. Sie gab eine moderne Binnensicht auf die Halacha (jüdische Gesetze und religiösen Vorschriften in ihrer Gesamtheit). Zur Sprache kamen die Grundzüge der Halacha und ihre Wirkungsweise in der jüdischen Praxis in Vergangenheit und Gegenwart. Es hat sich gezeigt, auf welche Weise ein Leben nach den Geboten mit Innerlichkeit und Freude verbunden ist und welchen religiösen Sinn die Halacha im Judentum hat.

Karl Wolfskehl - Eure Sprache ist auch meine. Gedichte aus dem italienischen Exil

Vorstellung des Buches und Lesung 

In seinem Gedichtzyklus Die Stimme spricht (1934/36), der im schweizerischen und italienischen Exil entstand, verarbeitete Karl Wolfskehl (1869-1948) nicht nur das persönliche Schicksal der Emigration, sondern begegnete auch der Anfechtung jüdischer Identität durch den Nationalsozialismus. Ralf Georg Czapla, Herausgeber der neuen Wolfskehl-Ausgabe und Literaturwissenschaftler an der Universität Heidelberg, gab Auskunft.

Der Vorstand konnte bekannte und neue Gäste zu der anregenden Lesung mit anschließender Diskussion im Direktorenwohnhaus begrüßen. Auf dem Foto v.l.n.r: Sabine Maehnert, Jürgen Nolte, Prof. Dr. Ralf Georg Czapla, Astrid Lange und Katja Hufschmidt-Bergmann.